Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit Helmholtz-Zentrum Potsdam

Lange Leitung mit Kältemantel

27.09.2024

Vor über 100 Jahren wurden Supraleiter entdeckt – Materialien, die Strom ohne jeden Widerstand leiten können. Weil sie dafür auf sehr niedrige Temperaturen heruntergekühlt werden müssen, kommen sie beim Stromtransport über lange Strecken bislang noch nicht zur Anwendung. Das könnte sich bald ändern, denn Forschende arbeiten daran, verschiedene Systeme für lange Strecken zur Marktreife zu bringen. Dazu gehört eine Anwendung mit doppeltem Nutzen: Die Supraleitungskabel werden mit Wasserstoff gekühlt, an Zielpunkten wie Häfen oder Zementwerken wird dann sowohl der Strom als auch der Wasserstoff genutzt.

Superconductivity

Das EU-Projekt SCARLET (kurz für „Superconducting cables for sustainable energy transition“) vereint 15 Partner aus 7 Ländern mit dem Ziel, supraleitende Kabel in Kilometerlänge zu entwickeln und zur Marktreife zu bringen. „Das heißt, ab 2027 sollte jeder, der Interesse hat, die Kabel kaufen können“, sagt RIFS-Wissenschaftlerin Adela Marian. Das Potenzial supraleitender Kabel liegt in ihrem hohen Wirkungsgrad, ihrer kompakten Größe und ihren geringeren Umweltauswirkungen. Damit könnten sie dazu beitragen, die Nachteile von Freileitungen und herkömmlichen Kabeln zu überwinden.

Bisher fehlten Anreize für die Netzbetreiber, Supraleiter einzusetzen, erläutert Marian: „Sie sind seit vielen Jahrzehnten an Kupferkabel gewöhnt, die zumindest initial günstiger sind, denn die ganze Infrastruktur ist ja schon vorhanden. Allerdings geht aufgrund des elektrischen Widerstands Energie verloren, in Europa rund 16 Prozent. Dennoch haben die Netzbetreiber Investitionen in Supraleiter bislang gescheut. Und dass, obwohl diese sich in der Praxis längst bewährt haben – zum Beispiel bei dem Projekt Ampacity in Essen, wo die Technologie über den gesamten Testzeitraum rundlief.“ Das SCARLET-Team will Supraleiter deshalb nicht nur technologisch voranbringen, sondern auch Politikempfehlungen für ihren Einsatz erarbeiten.

Onshore und offshore ohne Verluste

Erhebliche Vorteile bringen Supraleiter aufgrund ihres geringen Platzbedarfs zum Beispiel in Umspannwerken in dicht bebauten Regionen. Doch auch für lange Strecken können Supraleiter rentabel sein, etwa um Strom aus Windparks im Meer an die Küste bringen. Das Kabel, das die Forschenden dort einsetzen wollen, ist ein so genannter Hochtemperaturleiter. Unter diesem Titel firmieren Materialien, meist aus keramischen Werkstoffen, die sich bei einer Temperatur unterhalb von minus 183 Grad wie ein Supraleiter verhalten
Aber auch an Land sollen Supraleiter Anwendung finden, erläutert Marian: „Wir planen Tests mit Hochtemperatur-Supraleitern, die den Strom von der Küste und von anderen abgelegenen Standorten mit dem Netz verbinden. Neben dem geringen Platzbedarf ist hier auch von Vorteil, dass die Kabel einen deutlich kleineren Eingriff in die Landschaft bedeuten als Überlandkabel.“

Kombi-Pipeline für Strom und Wasserstoff

Als echten Meilenstein für die Energiewende bezeichnet die Physikerin ein weiteres Kabelsystem, an dem sie mit dem SCARLET-Team arbeitet: Ein Supraleitungskabel aus der metallischen Verbindung Magnesiumdiborid soll kombiniert werden mit einer Leitung für flüssigen Wasserstoff, der mit erneuerbaren Energien produziert wurde. Er dient als Kühlmittel für das Kabel. Als Ziel dieses Transports sind alle Anlagen geeignet, die sowohl Strom als auch Wasserstoff benötigen – zum Beispiel Häfen, in denen Schiffe mit Wasserstoff betankt werden, oder Industrieanlagen wie Stahl- oder Zementwerke.
Dieser futuristisch klingende Plan bedeutet für Adela Marian die Rückkehr zu ihren Anfängen in der Supraleitungsforschung: Als sie 2011 ans Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit (damals noch Institute for Sustainability Studies) kam, arbeitete sie mit dem damaligen Direktor und Physik-Nobelpreisträger Carlo Rubbia zu Supraleitern aus Magnesiumdiborid. Dies ist ein preisgünstiges Material, das bei minus 234 Grad Celsius supraleitfähig wird. Wasserstoff verflüssigt sich bei minus 252,5 Grad, ist also als Kühlmittel gut geeignet. Supraleiter und Wasserstoff, die Technologie der Zukunft und der Energieträger der Zukunft: Marian und ihre Kollegen wollen beides zusammenbringen.

„Schub für die Energiewende“

Adela Marian über den Stand der Technik und Herausforderungen beim Netzausbau

Mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien geht es in Deutschland zurzeit wieder schneller voran, nun muss der Netzausbau mit dieser Dynamik Schritt halten. Was können Supraleiter dazu beitragen?

Da supraleitende Kabel keine Widerstandsverluste aufweisen, führt ihr Einsatz zu einer effizienteren Stromübertragung und einem leistungsfähigeren Netz. Das erleichtert den Ausbau der erneuerbaren Energien. Ein wichtiger Pluspunkt ist auch ihr Platzbedarf, der etwa zehnmal geringer ist als der von herkömmlichen Erdkabeln - das ist wie ein Gehweg im Vergleich zu einer Autobahn. Für die öffentliche Akzeptanz ist das von Vorteil, denn gerade der Eingriff in die Landschaft gibt bei Energiewendeprojekten häufig Anlass zu Protest. Supraleitung würde der Energiewende einen Schub geben.

Der Netzentwicklungsplan 2037/2045 sieht ein klimaneutrales Energiesystem vor. Warum reichen die konventionellen Technologien – also Kupferkabel als Erd- oder Freileitungen – dafür nicht aus?

Um die Ziele des Netzentwicklungsplans zu erreichen, benötigt Deutschland bis zum Jahr 2045 25.723 Kilometer neue Leitungen mit einem Investitionsvolumen von mehr als 300 Milliarden Euro. Da herkömmliche Kabel auf Kupfer basieren, könnte es bei so einem massiven Ausbau zu Rohstoff-Lieferengpässen kommen. Supraleitende Kabel können die konventionellen Technologien ergänzen und enorme Einsparungen beim Kupferverbrauch ermöglichen, da sie siebenmal weniger Kupfer benötigen. Dies würde Konflikte in Bezug auf die Verfügbarkeit von Rohstoffen für die Energiewende verringern und die Resilienz der Lieferketten gewährleisten.

In Pilot- und Demonstrationsprojekten hat sich die Supraleitungstechnologie bewährt. Was kann die Politik jetzt tun, um Investitionen in Supraleiter zu fördern?

Supraleitende Kabel wurden schon mehrere Jahre lang erfolgreich im Stromnetz betrieben, zum Beispiel im Rahmen des AmpaCity-Projekts in Essen. Weitere derartige Pilot- und Demonstrationsprojekte sind notwendig, um bisweilen risikoscheue Netzbetreiber von den Vorteilen innovativer Technologien zu überzeugen und ihnen praktische Erfahrungen zu ermöglichen. Dies kann durch eine innovationsfreundliche Regulierung ermöglicht werden, die finanzielle Anreize für die Erstanschaffung einer solchen neuen Technologie vorsieht. Darüber hinaus sollte politisch vorgeschrieben werden, dass Supraleiter in Machbarkeitsstudien und Ausschreibungen für neue Übertragungsprojekte stets mitberücksichtigt werden.

Dieser Artikel erschien erstmals am 6. September 2024 in der Tagesspiegel-Beilage „Wissenschaft im Zentrum. Neues aus Forschung & Lehre in Brandenburg“.

Kontakt

Dr. Adela Marian

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Bianca Schröder

Dr. Bianca Schröder

Referentin Presse und Kommunikation
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